«Wie Neues entsteht»

Jedes Schweizer Technologieunternehmen behauptet von sich, innovativ zu sein. Doch was sind eigentlich Innovationen? Und wie entstehen sie? Ein Blick in Ferrums Entwicklungsabteilung.

Da steht sie nun, die jüngste Entwicklung aus dem Hause Ferrum: Dosenverschliesser FC03. «So simpel», stellt ein Besucher fest, der den Prototyp im Herbst 2016 am Messestand anlässlich der PACK EXPO International in Chicago begutachtet. Er beugt sich über den Einführtisch, blickt in den Innenraum, betrachtet die Falzstation, schaut wieder auf und zieht sein erstes Fazit: «Small is beautiful.»

Simpel, klein und fein: Damit ist die FC03 treffend beschrieben. Anfügen liesse sich, dass sie kostengünstig und mit einem Output von 80 bis 320 Dosen pro Minute eher langsam ist. Und das ist – so paradox es klingt – das Neue an dieser Maschine.

Der Craft-Beer-Boom

Es gibt Innovationen, die waren eigentlich Revolutionen, beispielsweise das Automobil oder das Smartphone. Diese Produkte waren so revolutionär, dass sie alles bisher Dagewesene auf den Kopf stellten und vom Markt verdrängten. Meistens aber sind Innovationen «Erneuerungen», so, wie es das Lateinische «innovare», «erneuern» nahelegt. Es sind Anpassungen des Bestehenden an die sich ändernden Bedürfnisse des Marktes.

Auch der Impuls für die Entwicklung des FC03-Dosenverschliessers kommt vom Markt, vom Biermarkt. Diesen prägen über Jahrzehnte Konsolidierung, Marktkonzentration und Rationalisierung. Mit der Grösse der Brauereien wachsen die Abfüllanlagen, für die Ferrum als Technologieführer laufend schnellere Dosenverschliesser entwickelt. Die entscheidende Kennziffer ist «cans per minute» (cpm), die Dosen, die eine Maschine pro Minute zu verschliessen vermag. Ein Rekord jagt den nächsten; Ferrums Spitzenmodell F18-2 falzt heute bis zu 2’500 Dosen pro Minute oder 3,6 Millionen Dosen pro Tag den Deckel auf. Und plötzlich? Ein Gegentrend. Während der Bierkonsum weltweit leicht zurückgegangen ist, erfreuen sich bis heute die hochpreisigen Craft Beers immer grösserer Beliebtheit. In den USA verdoppelt sich ihr Marktanteil seit 2011 von sechs auf zwölf Prozent und auch in Europa und der Schweiz boomen die Kleinbrauereien. Die amerikanische Brewers Association prophezeit: «Der Marktanteil für Craft Beer wird in den nächsten fünf Jahren auf 20 Prozent steigen.»

Mit Vollgas auf den Markt

So tauchen 2015 erste kleine Dosenverschliesser auf den Messen der Getränkeindustrie auf. Zwar entsprechen diese kaum dem technischen und qualitativen Standard einer Ferrum-Maschine, trotzdem rufen sie die Entwicklungsabteilung von Ferrum auf den Plan. Denn in dieser Liga, für diesen Markt klafft eine Lücke in Ferrums Maschinenportfolio – selbst der kleinste Dosenverschliesser ist zu schnell und zu teuer für eine Kleinbrauerei. Eine beunruhigende Situation, findet Christian Beer, der umtriebige und bestens vernetzte Verwaltungsrat der Ferrum AG. «Je länger wir jetzt warten und je später wir mit einem kleinen Verschliesser auf den Markt kommen», warnt er seine Kollegen im Verwaltungsrat, «desto teurer wird es, die Konkurrenz wieder vom Markt zu drängen.» Schon am nächsten Tag formiert sich bei Ferrum die Projektgruppe «FCX», wobei das X für eine der vielen zu lösenden Variablen steht: die Anzahl der Falzstationen, die die Maschine dereinst haben soll. Viele Fragen und ein ambitioniertes Ziel: die Präsentation eines Prototyps in nicht einmal einem Jahr auf den grossen Messen in Shanghai, Chicago und Nürnberg im Herbst 2016.

Alt und Neu kombiniert

«Unmöglich», würden einige Ingenieure jetzt raunen, doch Ferrumianer, wie sich die Ferrum- Mitarbeitenden selbst nennen, ticken anders. Ihr Beruf ist ihre Berufung. Wo andere Probleme sehen, suchen sie schon Lösungen. Eines wissen sie immerhin, und zwar, dass sie in so kurzer Zeit nicht die Welt neu erfinden können. Also bietet sich ein Blick in die Vergangenheit an. Im Lager steht noch eine alte, in den 1990er-Jahren aus dem Sortiment genommene F303 mit nur drei Falzstationen. Das Projektteam analysiert die Maschine, die Technik, die Teile und die heutigen Kosten. Wie erwartet, ist die Maschine etwas veraltet, vor allem aber ist sie so, wie sie dasteht, heute preislich nicht mehr konkurrenzfähig.

Die technische Basis aber ist definiert: eine Maschine mit drei Falzköpfen und bewährten Falzwerkzeugen. Doch woher soll das Neue kommen? «Wer innovativ sein will, sollte nicht nur im eigenen Teich fischen», sagt Christian Beer, der in mehreren Hightechfimen im Verwaltungsrat sitzt. Es brauche Reibung, einen Wettbewerb der Ideen. Beer empfiehlt eine Zusammenarbeit mit dem renommierten Ingenieurbüro Hat Engineering in Arbon.

Und tatsächlich zeitigt die Zusammenarbeit ganz neue Ansätze, gerade, weil die externen Ingenieure und Techniker eher auf Textilmaschinen und Getriebebau spezialisiert sind. Sie ersinnen beispielsweise das grössere und anders positionierte Drahtlager, durch das die Falzstationen an Steifigkeit gewinnen – ein entscheidender Vorteil, weil beim Falzen starke Radialkräfte wirken, der Falzprozess aber auch nach 100 Millionen gefalzten Dosen nicht an Toleranz einbüssen sollte.

Die Summe der Innovationen

Tage und – in den entscheidenden Konstruktionsphasen – wochenlang wohnen zwei Entwicklungskonstrukteure der Ferrum AG im Hotel Park in Arbon. Wie zu erwarten, ist die Zusammenarbeit nicht immer konfliktfrei. «Selbst wenn wir uns alle etwas Neues erschaffen wollen, bringt jeder Einzelne doch seinen Rucksack an Wissen und Erfahrungen mit – und Entscheidungen können zu Glaubensfragen werden», erinnert sich ein Ferrumianer. Eine dieser «Glaubensfragen»
betrifft die Art der Dichtung: ein bewährter V-Ring oder eine Labyrinthdichtung? Nach langem Ringen entscheidet man sich für eine Labyrinthdichtung – prompt leckt diese. Wieder geht wertvolle Zeit verloren, weil zu viel Neues ausprobiert wird. Aber so ist das halt: «trial» und immer wieder auch mal
«error». Und schliesslich gibt es Momente, da müssen Dritte über die Spezifikationen entscheiden:
Christian Beer oder Andreas Kunzmann, Ferrums Leiter des Geschäftsbereichs Konserven.

Ein Innovationsprozess verläuft zyklisch und dann immer wieder abrupt. Es stauen sich die Ideen, bis sich eine durchsetzt, ein Durchbruch gelingt – und die nächste Hürde bevorsteht. Mit Erfolg testet das FCX-Team einen platzsparenden Einführtisch, der erstmalig in der Geschichte der Ferrum Dosenverschliesser mit horizontaler Kettenführung funktioniert – günstiger in der Produktion und ideal für die engen Platzverhältnisse in Kleinbrauereien. Angenehmer Nebeneffekt der neuen Bauweise: dank einer abgeschrägten Unterbauwanne lässt sich der Dosenverschliesser viel effizienter reinigen – angesichts der immer strengeren Hygienevorschriften ein weiterer Pluspunkt. Solche nicht geplanten, aber willkommenen Folgen sind typisch für Innovationsprozesse. Oft ebnet eine Neuerung den Weg für
weitere Innovationen. Nur an den drei Falzköpfen wird nicht gerüttelt, weshalb das Projekt fortan nicht mehr «FCX», sondern «FC03» heisst.

Der Vorteil der internen Produktion

Bei einem Killerkriterium allerdings genügt die Maschine nicht: Sie ist immer noch zu teuer. Andreas Kunzmann treibt sein Team weiter an: «Wenn wir die Maschine hier in der Schweiz produzieren wollen, brauchen wir noch bessere Ideen.» Die Zeit ist reif für eine Einbindung der internen Produktion. Wo können noch Teile eingespart, wie günstiger produziert werden? Die Hand-in-Hand-Arbeit von Konstruktion und Produktion gibt dem Innovationsprozess neuen Schub. Jede Schraube wird neu gerechnet, mit externen Lieferanten gefeilscht, Elektronik durch Mechanik und wo möglich, Teile aus Edelstahl durch Gussteile ersetzt. Bis das gesamte Entwicklungsteam, die externen Ingenieure und die Mitarbeitenden der Produktion mit ihrem Latein am Ende sind. Genau in diesem Moment geht die Rechnung auf. FC03 ist geboren: einfach zu bedienen, hochwertig in Material und Fertigung, anpassungsfähig an Dosenformate, einfach im Handling, günstig im Unterhalt. Zwei Wochen später
feiert ferruCraft FC03 auf der Fachmesse China Brew & Beverage in Shanghai Weltpremiere.



Wenn sich die führenden Hersteller für Dosenverschliesser, die Ferrum AG und der amerikanische Konkurrent Angelus, technisch
immer mehr annähern, dann lohnt es sich, über ein sogenanntes Re-Engineering nachzudenken. Gesucht wäre ein ganz neuer Ansatz zum Verschliessen von Dosen, das ingenieurmässige Neugestalten und Ersetzen bestehender Systeme und Strukturen. Ein solch grundsätzlicher Innovationsprozess stellt höchste Anforderungen an Offenheit und Denken «out of the box». Deshalb arbeitet Ferrum bei solchen Projekten stets mit externen Hochschulen und Thinktanks zusammen, beispielsweise mit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), der ETH Zürich, der eidgenössischen Kommission für Technologie und Innovation (KTI) und dem Park
INNOVAARE.



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