Valerio, wir sitzen hier im Büro Ihres Sohnes. Haben Sie auch ein Büro?
Valerio Bertola (VB): Wozu brauche ich ein Büro? Mein Reich, das ist das Stangenlager, und das seit 46 Jahren. Ich wäre aufgrund meines Temperaments auch völlig ungeeignet für einen Bürojob und hätte nicht die Geduld, lange auf einem Stuhl zu sitzen. Und schon gar nicht, um junge Lehrlinge auszubilden. Da ist mein Sohn ganz anders als ich.
Gabriele Bertola (GB): Obwohl man sagen muss, dass auch ich kein klassischer Büromensch bin. Ich habe bei Ferrum die Lehre zum Mechaniker gemacht. Damals hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass ich einmal die Lehrwerkstatt mit 18 Lernenden leiten würde. Ich bin aber auch weiterhin in der Produktion tätig als Segmentleiter fürs CNC-Fräsen.
Valerio, sind Sie stolz, dass Ihr Sohn es bei Ferrum so weit gebracht hat?
VB: Natürlich! Ich bin auch immer erstaunt, wenn er so gescheite Sachen daherredet. Er hat ja schon die Lehre mit Bestnoten abgeschlossen. Der damalige Lehrmeister, Ernst Mohler, hat ihn gut erzogen.
GB: Vor allem hatte ich viel bessere Voraussetzungen als mein Vater oder Grossvater. Ich bin hier geboren, ging in Schweizer Schulen, hatte nie sprachliche Probleme.
Wann sind die Bertolas in die Schweiz gekommen?
VB: Meine Mutter ist im Dezember 1959, mein Vater im Januar 1960 in die Schweiz ausgewandert– aus Not. Mein Vater stammte von einem Bauernhof in der Provinz Verona, der zu klein war für alle Kinder. Mein Onkel Ernesto, der Bruder meiner Mutter, war bereits in die Schweiz ausgewandert und arbeitete
als Coiffeur in Rupperswil. Ihm gelang es, meiner Mutter einen Job als Näherin in der Spinnerei Steiner und meinem Vater einen Job in der Produktion bei Ferrum zu besorgen. Ohne Arbeitsverträge wären
meine Eltern gar nicht über die Grenze gekommen.
Und Sie sind in Italien geblieben?
VB: Ja, bei meinen Grosseltern. Ich war ein sechsjähriger Bub und tobte und weinte. Aber es half nichts. Erst als meiner Grossmutter nach dem Tod meines Grossvaters 1967 alleine alles zu viel wurde, holten mich meine Eltern in die Schweiz. Da war ich 13 Jahre alt und sprach kein Wort Deutsch.
Wie war es, als «Italienerkind» in Rupperswil aufzuwachsen?
VB: Das war wie mit 100 Stundenkilometern voll gegen die Wand. Das einzige, was ich hier gut konnte, war Fussball spielen. Wir spielten immer Italien gegen die Schweiz – und meistens gewannen wir. Mein Volksschullehrer sagte: «Valerio, du musst mehr mit Schweizer Kindern spielen, sonst lernst du nie Schweizerdeutsch.» Und seine Frau gab mir netterweise jeden Mittwoch- und Donnerstagnachmittag Deutschunterricht.
Und als die Volksschule beendet war, hat Ihr Vater Sie zu Ferrum in die Lehre geschickt?
VB: Wo denken Sie hin? Mein Schulabschluss war viel zu schlecht für eine Lehre. Ich habe in der Schule ja nichts verstanden, es dauerte lange, bis ich einigermassen Schweizerdeutsch konnte. Meine Eltern redeten ja auch nur Italienisch. Für sie war das kein Problem, weil sie auch bei ihrer Arbeit nur von Italienern umgeben waren, aber ich stand am Anfang meines Lebens und musste mir nach der Volksschule einen Job suchen. Mein Plan war, drei Jahre Geld zu verdienen und nach
der Einberufung zur italienischen Marine zu gehen. Das war mein Traum.
Wie sind Sie trotzdem bei Ferrum gelandet?
VB: Mein Vater war mittlerweile Kranführer in der Giesserei in Schafisheim. Mit seinem Chef vereinbarte er eine Anlehre für mich. Aber wie gesagt: Mein Vater sprach sehr schlecht Deutsch, deshalb kam es zu einem Missverständnis. An meinem ersten Arbeitstag stellte sich heraus, dass ich als unterster
Handlanger arbeiten sollte: Kohle schaufeln von morgens bis abends. Mein Vater sagte: «Nein, das ist kein Job für meinen Jungen, das ist doch noch ein halbes Kind!» Etwas später hörte er, dass Ferrum jemanden im Lager in Rupperswil suchte. Dort begann am 21. April 1970 meine Karriere bei Ferrum – mit 4.20 Franken Stundenlohn.
Und Ihre Karriere als Marineoffizier?
VB: Die gab ich freiwillig für meine Frau auf. Ich hatte sie schon in der Volksschule kennengelernt.
Wir hatten viel gemeinsam: Sie kam ebenfalls mit 13 Jahren in die Schweiz – von Sizilien aus. 1973 verlobten wir uns, 1976 heirateten wir in der katholischen Kirche in Lenzburg, 1978 kam Gabriele
auf die Welt.
Gabriele, wie haben Sie Ihren Vater und Ferrum als Kind erlebt?
GB: Ferrum und unsere Familie – das war eins. Unsere Wohnung lag direkt gegenüber der Lagerhalle
– ich konnte meinem Vater vom Balkon aus zuwinken. Auch mein Kindergartenweg führte an der Lagerhalle vorbei. Zudem hatte mein Vater mit Herrn Marzullo einen Schrebergarten auf der Grünfläche zwischen Lager und Bahngleisen. Viele Ferrum-Arbeiter bauten damals auf den Grünflächen des Ferrum-Geländes Gemüse an. Direkt neben dem Schrebergarten war das Gussteillager, wo ich zum Ärger meines Vaters häufig rumstöberte. Als Kind erschienen mir die Gussteile riesig. Und Metall faszinierte mich schon damals, die unterschiedlichen Farben, die Korrosion ... Und schwupps bin
ich ausgerutscht und habe mir an einem Blechteil eine tiefe Schnittwunde am rechten Arm zugezogen. Ich habe also Ferrum im Blut, seit ich fünf bin.
VB: Aus Angst vor der Schelte ist Gabriele einfach nach Hause gerannt. Als ich wenig später
heimkam, war das ganze Treppenhaus voller Blut.
Gabriele, Ihr Weg war vorgezeichnet. Nach Ihrem Grossvater und Vater mussten auch Sie quasi bei Ferrum anheuern, oder?
GB: Ja, ich hatte über meinen Vater und Grossvater nur gute Eindrücke von Ferrum, gerade, was die Lehrausbildung betraf. Nur meine Mutter fand aufgrund meiner guten Schulnoten, ich sei zu Höherem
berufen. Sie wollte, dass ich in die Büroetage aufsteige. Aber nach einer Schnupperlehre als Hochbauzeichner war mir klar: Das Büro ist nichts für mich. So absolvierte ich die zweite Schnupperlehre im Oktober 1995 bei Ferrum. Was mir sofort gefiel: der Teamgeist. Da waren schon damals 16 Mech-Lehrlinge. Zweitens erhielt ich sofort Verantwortung und konnte Vierkantwürfel auf
Länge drehen und bohren und senken. Drittens war Ferrum befreit von den überbetrieblichen
Kursen, weil hier alle Ausbildungsmodule intern von der Produktion abgedeckt werden konnten. Also freute ich mich riesig, als der Berufsbildner am letzten Tag der Schnupperlehre zu mir kam und fragte, ob ich nicht im August 1996 bei Ferrum die Lehre zum Mechaniker beginnen wolle.
Und Sie, Valerio, freuten sich mit Ihrem Sohn. Die dritte Bertola-Generation bei Ferrum!
VB: Ja, ich war sehr stolz und glücklich. Nicht nur, weil so mein Sohn in unserer Nähe bleiben
würde, sondern auch, weil ich um die Qualitäten von Ferrum als Arbeitgeber wusste. Ferrum
war und ist eine gesunde Firma. Wer hier gut arbeitet, muss sich im Leben keine Sorgen machen.
GB: Und ich musste mir während der Lehre Sprüche anhören, wenn wir spezielles Material vom Zuschnitt brauchten. «Du hast den besseren Draht zum Lager, Gabriele, geh’ du fragen...»
Gabriele, wenn Sie zurückblicken – was unterscheidet Ihre Lehre damals von einer Lehre bei Ihnen heute?
GB: Der augenfälligste Unterschied
sind die Räumlichkeiten. Wir frästen, bohrten und werkelten damals noch im «Loch» unten, mit einem Fenster und sonst nur Kunstlicht. Heute ist die Lehrwerkstatt lichtdurchflutet,
wir haben eine ganze Fensterfront und sind ein Vorzeigebetrieb, auch für meine Kollegen in der Berufsbildung und für den kantonalen Berufsinspektor. Was sich ebenfalls
verändert hat: die Ausbildungskonzepte. Die Lehre ist heute viel klarer und transparenter
strukturiert. Das ist auch ein Verdienst des neuen Versetzungsplans, den ich selbst im Rahmen meiner Diplomarbeit zum Berufsbildner entworfen habe. Dieser legt die Tätigkeiten
und Ausbildungsziele auf den verschiedenen Stationen der Lehre verbindlich fest. Und
noch etwas hat sich verändert: Wir haben heute immer wieder Frauen in Ausbildung – und machen mit ihnen hervorragende Erfahrungen: Fachlich, aber auch, was das Arbeitsklima betrifft.
Gabriele und Valerio, wie sieht Ihre Zukunft bei Ferrum aus?
VB: Ich werde in zwei Jahren pensioniert. Die Umstellung wird nicht einfach. Aber vielleicht
werde ich ja noch ein bisschen aushelfen bei Ferrum. Schliesslich ist auch unser neues Haus nur 300 Meter weg vom Stangenlager. Was sicher ist: Meine Frau und ich, wir bleiben
hier – nicht wie meine Eltern, die 1977 wieder nach Italien zurückgezogen sind. Wir sind
heute mehr Schweizer als Italiener.
GB: Ich sehe meine Zukunft bei Ferrum. Das spannende an meiner Arbeit ist ihre Vielseitigkeit
– unglaublich, wie sich mein Job in meinen 21 Jahren bei Ferrum verändert hat. Und das
wird auch in Zukunft so bleiben, denn die Bedürfnisse des Marktes, der Beruf des Polymechanikers und die Bildungskonzepte
verändern sich ständig. Und ich habe immer wieder mit neuen Menschen, neuen Lernenden
zu tun. Die kommen als Jugendliche und gehen als junge Erwachsene. Ich habe einen sehr befriedigenden Job. Und vielleicht geht die Geschichte der Bertolas bei Ferrum ja noch
über die dritte Generation hinaus: Meine Tochter Lara ist vier, mein Sohn Leandro eins.